Review by Milo Rau  |  international-institute.de


On April 6, 1994, the Rwandan President’s airplane was struck by two missiles shortly before landing. This signalled the start of the most gruesome genocide since the end of the Cold War: in only three months, an estimated one million people belonging to the Tutsi minority and thousands of Hutu moderates were killed in the Central African country.

Journalist Jean Hatzfeld, author of several volumes of eye witness accounts of the Rwandan genocide, observed that it was, in contrast to the Holocaust, a “genocide of proximity.” The victims were not deported to camps and put to death there by special military units. It happened in their homes. In most cases, they were killed by their own neighbours. Nevertheless, the comparison with the genocide of European Jews has influenced narratives about the Rwandan Genocide - a narrative that Leona Goldstein has taken up in a surprising manner in her film “God Is Not Working On Sunday!”

Goldstein’s intimate and yet consciously distant portrait of daily life in Rwanda today, 20 years after the genocide, begins with a voiceover that tells of the filmmaker’s grandfather: a Polish Jew who was the only member of his family to survive the Holocaust. His words are not heard. The perpetrator’s silence surrounds him.
What concerned only a very small amount of Germans affects the entire population in Rwanda: the Hutu and Tutsi people live next to each other just like before the genocide. Former killers and the survivors are neighbours again. A comprehensive reconciliation program is propagating forgiveness and a new, fragile nationalism beyond ethnic characteristics. A social project that is unique in the history of humanity.

Leona Goldstein’s film reflects this project from various perspectives. In just over 90 minutes, we accompany exceptional women in their often difficult daily lives: one protagonist turns her own home into a shelter for female genocide survivors. Another organises a course on self-confidence and assertiveness. Lastly, a third reports - anonymously - about how she survived the genocide as a ten year old. During these, the motif demonstrated by the example of Goldstein’s grandfather, his inability to speak and yet still having to “go on,” comes into focus again and again - of the paradox, which ultimately can’t be individually or collectively processed conclusively, that perpetrator and survivor are living together again and are supposed to build up trust in one another.

Thus at the centre of Goldstein’s film is perhaps the most important question of all for documentary filmmaking: how can the incommunicable, the unprocessable be communicated and even brought to life? The achievement of “God Is Not Working On Sundays, Eh!” is that it is able to ask these questions as concretely and relentlessly as possible through the detailed, equally beautiful and brutal portrait of a society that is reconstructing itself. And this is also the moment of hope in Goldstein’s film: though the director’s grandfather sinks into silence, “God Is Not Working On Sundays!” is a film about speaking and acting. It is also a film about solidarity - a powerful sign of life after survival.

Milo Rau

God is not working on Sunday! Rezension iz3w |  iz3w.org
von Martina Backes


Es herrschte Apathie, Sprachlosigkeit und eine paralysierende Angst. Schon lange bevor das Morden begann. Heute, über 20 Jahre nach dem Völkermord in Ruanda, der rund eine Million Menschen das Leben kostete, ist die Gesellschaft zu 89 Prozent ausgesöhnt. Das besagt das Barometer der Kommission für nationale Einheit und Versöhnung, die jährlich eine Erhebung über den Grad der Aussöhnung veröffentlicht.

Doch ist Versöhnung messbar? Apathie strahlen Florida Mukarubuga und Godliève Mukasarasi jedenfalls nicht aus. Ohne Umschweife sprechen die Protago­nistInnen des Films »God is not working on Sunday!« über persönliche Probleme. Über die Gewalt, die ihnen angetan wurde. Denn: »Wenn du schweigst, frisst es dich innerlich auf«. Genau das war der Zustand der ruandischen Gesellschaft vor der Eskalation im April 1994. Das Schweigen und Wegsehen trotz jahrzehnte langer Gewalttätigkeiten hatte die Gesellschaft tief gespalten. Das Schweigen überließ den radikalen Hutu Milizen das Feld, ihrer Angst mache, ihrem Schüren von Hass.

Die Filmemacherin Leona Goldstein beschäftigte die Frage, warum ihr Großvater, ein KZ Überlebender aus Polen, verstummt, sobald er seine Wohnung verlässt. Und wie sich das Leben in einer Nachkriegsgesellschaft, in der sich die Täter relativ komfortabel eingerichtet haben, für die Überlebenden des Faschismus anfühlt. Auf der Suche nach einer Antwort ging sie nach Ruanda. Der Film, der acht Jahre später fertig wurde, zeigt: Vergebung ist keine ein malige Geste. Das Verzeihen bleibt eine wiederkehrende Herausforderung. Versöhnung ist Arbeit, ein ständiger Prozess, nie ganz abgeschlossen. Sie muss gehegt und gepflegt werden, wie etwas Zerbrechliches. Sie braucht ständige Aufmerksamkeit. Sonst bricht die Erinnerung an die Gewalt die alten Wunden auf. Sonst droht das Erlebte erneut in Angst und Hass umzuschlagen.

Mit einer raumgreifenden Tonsprache hat die Filmemacherin eine akustische Form für das wiederkehrende Erinnern an den drohenden Schrecken gefunden: Das Prasseln des Regens auf Blättern und Wellblechdächern, ein Prasseln, durch das die Stimmen der marodierenden Banden, damals zu Regenzeit, langsam näher kamen und das die Schreie der Opfer, die ihrem Schicksal überlassen wurden, dumpf verklingen ließ. Mit der Wahl der Protagonistinnen und deren Erinnerung an jene Tage gelingt es Leona Goldstein, für die Notwendigkeit des Sprechens über das, was unsagbar scheint, ein Plädoyer zu verfassen. Die Frauen, die im Film portraitiert werden, leben dieses Plädoyer vor, trotz aller Stolpersteine, die der Alltag für sie bereithält. Zum Beispiel, wenn sie ihren damals mordenden Nachbarn auf dem Feld begegnen, auf dem Weg zu Arbeit, im Bus, in der Kirche. Carry on, dann gibt es eine Zukunft.

Die Frauen sind in Ruanda zu einer starken gesellschaftlichen Kraft geworden. Nicht nur, weil sie über die Hälfte der Sitze im Parlament und ein Drittel der Ministerposten einnehmen. Viele haben sich befreit von der Rolle der Befohlenen, Unterworfenen, Entwürdigten, Gehorchenden in einer patriarchalen Gesellschaft. Vielen weiteren bleibt dieser Schritt zu tun. Das neue Selbstbewusstsein, das der Film einfängt, erstaunt und macht Mut angesichts der Fakten. Jeden Tag wurden in den Monaten des Völkermordes 5.000 Frauen vergewaltigt. Viele dieser Frauen fühlen sich von ihren aus diesen Gewaltakten entstandenen Kindern herausgefordert, können sie nicht lieben. Damit bleibt auch den Kindern, deren Alter und Geburtstag auf die Zeit der Vergewaltigungswelle verweist, die den Genozid selber nicht erlebt haben und die doch ihre Nachfahren sind, nur das Vergeben. Für etwas, woran ihre Mütter nicht schuld sind. Viele Frauen, nicht nur die Alleinstehenden, haben sich organisiert und Kollektive gegründet. Gemeinsam haben diese Frauen geweint, gelitten, gestritten. Gegen die Vereinsamung. Sie haben sich Mut gemacht, die harte Arbeit der Vergebung und Versöhnung auf sich zu nehmen, auch untereinander. Ein Beispiel im Film ist das Recyclingkollektiv Amizero. Hier arbeiten sie zusammen: Frauen, die von den Männern ihrer Mitarbeiterinnen misshandelt wurden, deren Männer zu Tätern wurden, deren Familien getötet wurden. Die Zeit heilt nicht automatisch das, was sie entzweit. Mit wenigen Zitaten zeigt der Film: Misstrauen ist eine ständige Begleiterin, die daran erinnert. Die Insel der mutigen Protagonistinnen verlässt der Film nur in wenigen kleinen Exkursen. Zum Beispiel am Tag der nationalen Einheit. Vier oder fünf Bilder reichen aus, um zu zeigen, dass Vergebung nicht staatlich verordnet werden kann, auch wenn die Regierung in Ruanda alljährlich mit pompösen Staatsfeiern Versöhnung demonstriert. Die Arbeit haben andere gemacht, das Erbe der Gefahr der Wiederholung bleibt. Versöhnung lässt sich nicht in Prozenten messen.


Leona Goldstein hat durch die Filmarbeit keine einfache Antwort auf ihre Ausgangsfrage gefunden. Vielmehr wird sie von ihren Protagonistinnen mit neuen Fragen konfrontiert, die sie an ihr Publikum weitergibt. Eine Frau will wissen, wie das gehen soll, dass die Menschen in Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges über Jahre weiterlebten, ohne über die Grausamkeiten zu sprechen, von Angesicht zu Angesicht. Ohne persönliche Aussprache und ohne das Bitten um Vergebung zwischen denen, die Gewalt verübt haben und denen, die sie überlebten.

God is not working on Sunday!, Dokumentarfilm von Leona Goldstein (Ruanda 2015) erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Menschenrechtsfilmpreis 2015 in Dresden, den Publikumspreis der internationalen Frauenfilmfestivals in Köln 2016, den Preis für beste Regie von CineWomen 2015 und dem Berlin Independent Film Festifal, den Preis für den Besten Film auf dem MIC Genero in Mexiko sowie den Platinum Award für den besten Dokumentarfilm auf dem International Womens Rights Filmfestival in Indonesien. Er ist ab sofort für Veranstaltungen buchbar: www.godisnotworkingonsunday.org


Anmerkung 1 NURC (Background of National Unity and Reconciliation Commission): »Rwanda Reconciliation Barometer« 2014

Martina Backes ist Mitarbeiterin im iz3w

 

 

Rezension Analyse & Kritik, Januar 2016

 

 

 

 

Review by Minna Salami |  msafropolitan.com


What would have once sounded like a far-fetched feminist fantasy – namely women forming the majority of a parliament – is a reality in one country in the world, Rwanda. Yet while women’s rights activists everywhere have spent decades campaigning for equality in political leadership, the feminist movement at large pays insufficient attention to the gains of Rwandan women. The west, a key shaper of feminist discourses, has hardly looked toward Rwanda for clues to strengthen global struggles. Considering that only three of the 22 female heads of government are in the west (at the time of writing), it seems that Rwanda – where, since 2008, women have held over half the parliamentary seats –  ought to make groundbreaking headlines for feminists.


NGOs have addressed Rwanda’s achievements – not a bad thing per se – but without feminist debate, gender equality in Rwanda is mostly discussed in terms of the 1994 genocide, which although meaningful, does not paint the full picture. Even worse, the debate has, in Eurocentric fashion, all too often implied that women’s progress in Rwanda is a result of the adoption of western values and that westerners are „helping“ local women achieve them. 
‘God Is Not Working On Sunday!’ is a welcome change in terms of telling the story of the Rwandan women’s movement.

The film focuses on three key factors as I see it. Firstly, that the genocide was gendered; women and men were affected in different if equally devastating ways. Two, that the subsequent healing process from the genocide, then, also is gendered. With different experiences of trauma to mitigate—sexual violence, mass rapes, giving birth to unwanted children—women have also, necessarily, adopted different curative strategies. And thirdly and most importantly Goldstein’s film, thanks to its careful commitment to listening to Rwandan women themselves, makes it clear that the country’s changing political terrain is a result of unprecedented local feminist activism.


It was a pleasure to watch such a conscious effort to storytelling. I am confident that viewers will enjoy the great candour and breathtaking beauty of women’s resistance in Rwanda in an equally elegantly shot film. Certainly, the stories will stay with me for a long time.


Minna Salami

 

 

„Der Film ist eine Hommage an den ruandischen Feminismus.“

Von Theresa George für "Analyse und Kritik" | akweb.de

 

Die Vergangenheit kennt keine Auszeit. Der Film »God is not working on Sunday!« thematisiert die genderspezifische Dimension des Genozids in Ruanda

»God is not working on Sunday!« ist zwangsläufig ein widersprüchlicher Film. Er handelt vom Sprechen darüber, wofür es keine Worte gibt. Vom Verzeihen dessen, was unverzeihlich ist. Vom Lachen darüber, wofür Tränen nicht ausreichen. Entstanden ist ein erschütterndes und hoffnungsgebendes Porträt einer Gesellschaft, die auch über 20 Jahre nach dem Völkermord um das Erinnern ringt, damit sich eine Zukunft formulieren lässt.

Der Film beginnt fernab von Ruanda in den Erinnerungen der Filmemacherin an ihren Großvater. Diesem Mann, der den Holocaust überlebte und über seine Erfahrungen schweigen musste, ist der Film gewidmet. Seine Enkelin will nun das Land kennenlernen, in dem 1994 das passierte, was nie wieder passieren sollte: Ein Völkermord, dem bis zu 1 Million Tutsi und moderate Hutu zum Opfer fielen. Sie will verstehen, wie die ruandische Gesellschaft mit ihrer Vergangenheit umgeht und welche Rolle insbesondere Frauen dabei spielen. Ihr persönliches Interesse lässt sie zu einer guten Zuhörerin werden, deren Stimme im Voice-Over nur ab und an nachfragt oder zusammenfasst, niemals aber in einen bewertenden oder objektivierenden Duktus verfällt, der die eigene – notwendig eingeschränkte – Perspektive vergisst.

Der Akt des Sprechens.

So setzt sich die Kamera in Bewegung: durch die belebte Innenstadt Kigalis oder auf holprigen Straßen durch ländliche Regionen. Sie folgt dabei vor allem den Wegen von zwei Aktivistinnen, die seit Jahrzehnten für die sozialen und politischen Belange der ruandischen Frauen einstehen: Florida und Godeliève. Je mehr man von ihnen und ihrer Arbeit erfährt, desto verständlicher wird es, warum sich »God is not working on Sunday!« auf die genderspezifische Dimension des Genozids und seiner Folgen fokussiert. So haben ruandische Frauen nicht selten andere Gewalterfahrungen gemacht als ruandische Männer und mussten systematische Vergewaltigungen und Ansteckungen mit HIV erleiden. Auch ihre materielle Not war oft bedrohlicher, denn sie waren beim Wiederaufbau meist auf sich allein gestellt: Viele Männer waren gestorben, geflohen oder saßen im Gefängnis. Diese Situation forderte Mitte der 1990er Jahre insbesondere von zivilen Fraueninitiativen, sich Problemen anzunehmen, für die es keine einfachen Lösungen gibt. Trotzdem haben sich viele auf den Weg gemacht. Deren Arbeit dokumentiert Leona Goldstein mit klassischen Mitteln: Entweder filmt sie als stille Beobachterin Seminare und Workshops, Arbeitseinsätze und Beratungsgespräche, Parlamentssitzungen und Konferenzen. Oder sie lässt die Frauen vor der Kamera Platz nehmen und erzählen. Der Akt des Sprechens erscheint hier von eigener Bedeutung zu sein. Er verleiht den Sprechenden Macht über ihre Vergangenheit und ermöglicht ihnen nicht zuletzt, Fragen zu stellen.

Mit der Regenzeit kehren die Erinnerungen zurück.

Sich wie Gott sonntags eine Auszeit zu nehmen, blieb und bleibt den Aktivistinnen bei ihrer Arbeit verwehrt. Was das genau bedeutet, wird aber erst im Verlauf des Films klar. Immer wieder filmt Leona Goldstein die vorbeiziehenden Landschaften. Immer wieder verliert sich ihr Blick am Himmel. Manchmal hält sie die Kamera stur auf den nicht enden wollenden Regen oder das Bild verdunkelt sich in schmalen Hausfluren hinter geschlossenen Fenstern. Zunächst wirken diese Aufnahmen wie klassische Zwischenbilder, die uns Zeit geben und dem Film Atmosphäre verleihen. Oder sie funktionieren als Metaphern für unaussprechliche Gewalttaten und die suchende Bewegung der ruandischen Frauen. Doch nach und nach erlangen sie eine erschütternde Konkretheit. Zum Beispiel wenn Godeliève erzählt, dass es während des Genozids immer regnete. Oder wenn eine Gruppe von Frauen an den Fluss fährt, in dem viele ihrer Liebsten verendeten. So lernen wir zu sehen, dass besonders in Ruanda – wo der Völkermord nicht ausgelagert wurde und Täter und Opfer bis heute als Nachbar_innen zusammen leben – die Vergangenheit keine Auszeit kennt. Und mit einsetzender Regenzeit erstarken die Erinnerungen.

»God is not working on Sunday!« ist nicht nur eine längst überfällige Hommage an den ruandischen Feminismus der letzten Jahrzehnte. Er führt auch vor, was hierzulande gern vergessen wird: die verheerenden Auswirkungen kolonialer Herrschaft, das unverzeihliche Versagen der internationalen Gemeinschaft 1994 und die Überheblichkeit vieler »Erste-Welt-Feminist_innen«, die blind sind für die Eigenheiten und Errungenschaften der ruandischen Frauenbewegung. Dieser sehenswerte Dokumentarfilm ist zudem – und das bleibt hierzulande leider nach wie vor bemerkenswert – von einem überwiegend weiblichen Filmteam gemacht.

Theresa George ist Ethnologin und Filmschaffende. Sie lebt und arbeitet in Hamburg.